1978 – 2018: 40 Jahre Anti-Blockier-System
Vom 22. bis 25. August 1978 stellen Mercedes-Benz und Bosch das Anti-Blockier-System in Untertürkheim vor. Dieses digitale Fahrassistenzsystem ist eine Weltinnovation und definiert die Partnerschaft von Fahrer und Automobil neu. In der S-Klasse der Baureihe 116 ist ABS ab Ende 1978 erhältlich.
Selbst bei einer Vollbremsung die totale Lenkkontrolle über das Auto zu behalten, weil die Räder nicht blockieren: Genau das ermöglicht das Anti-Blockier-System (ABS). ABS ist auch deshalb eine Sensation, weil mit diesem System die Digitaltechnik Einzug ins Automobil hält. Das definiert die Rolle des Fahrzeugs neu – es nimmt künftig die Aufgabe eines Partners auf vier Rädern ein, der den Menschen am Steuer zunehmend aktiv unterstützt.
Mercedes-Benz erklärt die Funktion des Anti-Blockier-Systems vor 40 Jahren in einer Broschüre so: „Das Anti-Blockier-System überwacht durch einen Computer die Drehzahländerung des einzelnen Rades beim Bremsvorgang. Fällt die Drehzahl zu schnell ab (zum Beispiel beim Bremsen auf glattem Untergrund) und das Rad droht zu blockieren, vermindert der Computer automatisch den Bremsdruck. Das Rad beschleunigt wieder, der Bremsdruck wird wieder erhöht und damit das Rad abgebremst. Dieser Vorgang wiederholt sich in Sekunden mehrmals.“
Was in einer Epoche der analogen Elektrik und Elektronik kompliziert klingen mag, ist in der Praxis einfach überzeugend: Das Automobil bringt dank ABS selbst bei Nässe, Eisglätte, Schnee oder schwierigem Terrain die größte physikalisch mögliche Bremskraft auf den Untergrund, während die Räder nicht blockieren und das Fahrzeug sogar bei Vollbremsungen lenkfähig bleibt.
Nach der Vorstellung vor 40 Jahren ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Einführung des Anti-Blockier-Systems in die Serie: ABS hat Ende 1978 in der Mercedes-Benz S-Klasse der Baureihe 116 als Sonderausstattung Premiere. Der Mehrpreis beträgt damals 2.217,60 DM. Zwei Jahre später ist es in sämtlichen Personenwagen der Stuttgarter Marke auf Wunsch erhältlich. 1981 stellt Mercedes-Benz das Anti-Blockier-System für Nutzfahrzeuge vor. Und ab Oktober 1992 ist ABS in allen Personenwagenmodellen der Marke mit dem Stern Serienausstattung. Heute ist das Assistenzsystem in Autos so gut wie aller Hersteller weltweit eine Selbstverständlichkeit.
Sternstunde in einer einzigartigen Innovationsgeschichte
Die Vorgeschichte von ABS reicht bei Mercedes-Benz jedoch zurück bis in die 1950er-Jahre. 1953 meldet Hans Scherenberg, damals Konstruktionschef von Mercedes-Benz, ein Patent zum Verhindern des Blockierens von Fahrzeugrädern beim Bremsen an. Ähnliche Lösungen gibt es zwar schon in der Luftfahrt (Anti-Skid) und bei der Eisenbahn (Knorr-Gleitschutz). Doch das Automobil ist ein sehr komplexes System, das besonders hohe Herausforderungen an die Sensorik, Signalverarbeitung und Steuerung stellt. Beispielsweise müssen die Komponenten die Drehverzögerungen und die Beschleunigung der Räder auch bei Kurvenfahrt, Bodenunebenheiten und starker Verschmutzung fehlerfrei registrieren.
Ein intensiver, kontinuierlicher Wissensaustausch von konzerneigener Forschung und Entwicklung mit Industriepartnern führt schließlich zum Erfolg: 1963 beginnt in der Vorentwicklung der damaligen Daimler-Benz AG die konkrete Arbeit an einem elektronisch-hydraulischen Bremsregelsystem. Ab 1966 kooperiert das Unternehmen dazu mit dem Heidelberger Elektronikspezialisten Teldix, der später von Bosch übernommen wird. Das Ergebnis hat 1970 Premiere: Hans Scherenberg, mittlerweile Entwicklungschef von Daimler-Benz, stellt das analog-elektronische „Mercedes-Benz/Teldix Anti-Bloc-System“ den Medien auf der Einfahrbahn in Untertürkheim vor.
Die Präsentation 1970 beweist, dass das Prinzip funktioniert. Doch die Entwickler haben erkannt, dass eine digitale Steuerung der richtige Weg für ein großserienfähiges ABS ist – zuverlässiger, weniger komplex und zugleich viel leistungsfähiger als die analoge Elektronik. So wird gemeinsam mit Bosch, wo das digitale Steuergerät entsteht, das ABS der zweiten Generation als digitale Lösung entwickelt. Der Ingenieur Jürgen Paul, Leiter des ABS-Projekts bei Mercedes-Benz, bezeichnet die Entscheidung für die digitale Mikroelektronik später als den Durchbruchmoment in der ABS-Entwicklung.