Vor 50 Jahren brachte Continental sein erstes fahrerloses Auto an den Start

„Alle Welt“ redet (heute) vom autonomen fahren in der Zukunft, als große Neuerung. Doch wie lange forscht man schon, um auf den heutigen Stand zu gelangen?
Ehrlicherweise war ich davon etwas überrascht, denn mein Tipp hätte Ende der 1970er oder Anfang der 1980er Jahre gelegen….
Der Start erfolgte jedoch bereits 10 Jahre früher….denn am 11. September 1968 drehte das erste elektronisch gesteuerte, fahrerlose Testfahrzeug seine Runden auf dem Continental-Testgelände Contidrom!

Vorne und hinten am Fahrzeug angebrachte Antennenpaare (rote Zylinder) maßen die Stärke des vom Leitstrom erzeugten Magnetfelds Bild: Continental AG)

„Mit dem Geisterfahrer durch die Steilkurve“ titelte die Presse. Mehr als 400 Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsender berichteten damals. Bei dem visionären Projekt ging es eigentlich darum, wie Reifen wissenschaftlich exakt unter programmierten Bedingungen getestet werden können. Dabei sind die Continental-Ingenieure aber gleich an die Grenzen des damals technisch Machbaren gegangen und haben auf gewisse Weise den Weg für das Fahren in der Zukunft geebnet.
Das „autonome Fahren“ quasi als „Abfallprodukt“ des Reifen-Testens? Interessanter Aspekt…

Die neuen Systeme für das fahrerlose Testfahrzeug wurden für Continental von Siemens, Westinghouse und Forschern der Technischen Universitäten München und Darmstadt entwickelt. Ein Leitdraht auf dem Fahrbahnbelag lieferte die Orientierung. Mit Hilfe von Sensoren erkannte die Elektronik im Auto, ob es noch auf Spur war und lenkte entsprechend automatisch nach. Also letztlich wie auf der Carrera-Bahn.

Am Fahrzeug angebrachte Messspulen erkannten ein Magnetfeld, welches von dem auf die Fahrbahn geklebten Draht ausging. Dieses System ermöglichte die präzise elektronische Steuerung.

In den Mercedes Benz 250 Automatik (auch bekannt als „Strich-Acht“) hatten die Ingenieure unter anderem eine elektro-mechanische Lenkung, eine elektro-mechanische Gasregulierung und die Funkeinrichtung für Messwert-Rückmeldungen eingebaut, damals absolute Spitzentechnik. An den Stoßstangen waren zudem mehrere Antennen montiert, im Kofferraum die Steuerelektronik und eine elektro-pneumatische Bremseinrichtung untergebracht.

Vom Leitstand am Rand der Teststrecke gingen Befehle über den Leitdraht ans Auto: Abbremsen, Beschleunigen, Hupen. Vorteil des völlig neuartigen Testsystems: Durch Ausschluss menschlicher Einflussfaktoren stieg die Präzision der Messwerte erheblich. Und die Kapazitäten des im Jahr zuvor eröffneten Contidroms ließen sich erstmals voll ausnutzen.

Man beachte das Telefon! Vom diesem Kommandostand wurden Soll-Geschwindigkeit, Bremsbefehle und weitere Signale zum Fahrzeug übertragen. Die Testingenieure konnten hier Ist-Geschwindigkeit und Drehzahl des Motors überwachen (Bild: Continental AG)

Die Continental-Ingenieure haben bei ihrem Projekt in den Grenzbereichen der verfügbaren Technik vor 50 Jahren einiges erlebt: es gab eine Pilotphase, in der der Testbetrieb mit dem elektronisch gesteuerte Auto („E-Auto“) auch nachts lief. Man wollte es ja so effizient und effektiv wie möglich einsetzen. Das Auto fuhr die ganze Nacht. Man sah immer wieder die Scheinwerfer auftauchen und verschwinden. Manchmal kam das Auto aber auch nicht wieder vorbei. Es hatte den Draht verloren und blieb sofort mit einer automatischen Notbremsung stehen. Auch ein System, das wir aus der Gegenwart kennen…

Wahrscheinlich hat die Stahlstruktur in der Betonfahrbahn dann ab und an das Magnetfeld leicht abgelenkt. So lange es geradeaus ging, war das alles kein Problem. Aber interessant für die Ingenieure war ja besonders das Aquaplaning quer, also das Fahrverhalten in der Kurve auf nasser Straße. Und dann machte es oft ‚Wutsch‘, das Auto verlor den Leitdraht und stand. Außerdem war in die Fahrbahn eine Glasplatte eingebaut, unter der eine Hochgeschwindigkeitskamera 10.000 Aufnahmen pro Sekunde machte. Man wollte sehen, wie sich die Blöcke im Reifenprofil beim Fahren verhalten. Der Leitdraht musste so gelegt werden, dass die Reifen des „E-Autos“ exakt über die Glasplatte rollten. Das hat mal gut, oft aber auch gar nicht funktioniert.

Das fahrerlose E-Auto war bei zahlreichen Veranstaltungen zwischen 1968 und 1974 eine der Hauptattraktionen für die Gäste auf dem Contidrom. Das Ziel der automatisierten Fahrzeugtests für die Reifenentwicklung war aber bei aller Innovationskraft zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreichbar gewesen.

Natürlich hat Continental auch hier heute technisch aktuelle Fahrzeuge, die das leisten können, was man sich damals erhoffte – und dennoch ist es faszinierend, was die Conti-Ingenieure damals schon auf die Beine gestellt haben: Hut ab!
(Infos und Text teilweise: Continental AG, Pressemitteilung)

Und hier noch ein Video (ohne Ton, aber sehenswert…)