60 Jahre 300 SL Roadster

Wer einmal in einem 300 SL „Gullwing“, also dem legendären Flügeltürer Platz nehmen konnte, kann sich schnell vorstellen, warum aus dem SL ein Roadster wurde. Denn in einer Zeit, in der Klimaanlagen noch nicht wirklich Einzug in Fahrzeuge gehalten hatten, wurde es in einem Coupé ohne versenkbare Seitenscheiben sehr schnell sehr heiß.

Darum forderte vor allem der US-amerikanische Markt nach einer offenen Version des Supersportwagens. Nach rund 1.400 gebauten „Gullwing“ 300 SL folgt 1957 der Roadster, von dem 1.858 Fahrzeuge gebaut werden.

Mercedes-Benz Typ 300 SL Roadster, Supersportwagen seiner Zeit (Bild: Daimler AG)

Interessant bei der Geschichte ist, dass man bereits im Oktober 1956 einem US-Magazin erlaubt, erste Bilder von dem Fahrzeug zu machen und zu veröffentlichen. In unserem Jahrzehnt würde man das „teasern“ nennen…

Aber zurück zum Thema. Der US-Markt war für den Supersportwagen seiner Zeit der Wichtigste. Von den 1.400 300 SL Modellen wurden gut 800 in die USA verkauft. Daher war der Markt ebenso interessant, wie er das heute für Mercedes-AMG ist.

Am 26. Juli 1955 entscheidet der Vorstand dann: „Es wird beschlossen, den 300 SL Roadster mit aufsetzbarem Coupé-Dach zu bauen und nötigenfalls hierfür zusätzliche Leute einzustellen“, heißt es im Protokoll der Vorstandssitzung.

Technische Weiterentwicklung des 300 SL

Die Weiterentwicklung des Coupés zum Roadster ist mit einigen technischen Änderungen verbunden. Insbesondere müssen die Ingenieure den Gitterrohrrahmen verändern.
Dieser hatte aufgrund seiner hohen Bauart an den Flanken einst die charakteristischen Flügeltüren des Coupés erfordert.

Nun wird der Rahmen an beiden Seiten der Karosserie aufwendig neu konstruiert, um bei unverändert hoher Verwindungssteifigkeit klassische Türen zu ermöglichen.

Im Heck wird der Rahmen ebenfalls modifiziert: Einerseits entsteht Platz zum Einbau der Eingelenk-Pendelachse mit Ausgleichsfeder, außerdem wird ein praktisch nutzbarer Kofferraum geschaffen.

Schließlich soll der Roadster noch viel stärker als das Coupé die Rolle eines sportlichen Reisewagens erfüllen. Die Veränderungen führen zu einer Steigerung des Fahrzeuggewichts von rund 120 Kilogramm.

Durchsichtzeichnung, Mercedes-Benz Typ 300 SL Roadster (Bild: Daimler AG)
Zwei Mann tragen die Leichtmetallkarosserie ganz bequem, wiegt sie doch nur 185 kg und damit rund 1/7 des Fahrzeuges. (Bild: Daimler AG)

Das Fahrverhalten des Roadsters begeistert dennoch. So heißt es in einem Versuchsbericht des Mercedes-Benz Ingenieurs Erich Waxenberger: „Der 300 SL Roadster mit Eingelenk-Hinterachse und Ausgleichfederung hat mit Sportfedern und -dämpfern eine wesentlich bessere Straßenlage als das 300 SL Coupé mit Zweigelenk-Hinterachse. Die starke Übersteuerungstendenz ist in eine leichte Untersteuerung geändert worden, so dass man dieses Fahrzeug innerhalb kurzer Zeit mit Sicherheit bis an die Grenze fahren kann. Nach Angaben von Herrn [Rudolf] Uhlenhaut und Herrn [Karl] Kling liegt der 300 SL Roadster bezüglich Straßenlage zwischen dem Grand-Prix-Rennwagen und dem 300 SLR.“ Ein besseres Zeugnis können die Väter der Silberpfeile dem Sportwagen kaum ausstellen. Im März 1961 wird das Fahrwerk durch die Einführung von Scheibenbremsen an allen vier Rädern weiter verbessert.

Den Motor übernehmen die Ingenieure zunächst unverändert vom Coupé. Der Dreiliter-Sechszylinder-Reihenmotor M 198 mit Benzineinspritzung und einer Leistung von 158 kW (215 PS) hat einen Graugussblock. Er wird im Frühjahr 1962 durch einen um 44 Kilogramm leichteren Aluminium-Zylinderblock ersetzt.

Mercedes-Benz 300 SL Roadster (Baureihe W 198 II) (Bild: Daimler AG)

Neben dem Wegfall des Dachs unterscheidet sich das Design des Roadsters in verschiedenen Details vom Coupé. An der Front weist der offene Sportwagen senkrecht stehende Leuchteinheiten auf. Sie fassen Scheinwerfer, Nebelleuchten und Blinker unter einem gemeinsamen Deckglas zusammen. Dieses Element wird in den Folgejahren das Erscheinungsbild der Mercedes-Benz Personenwagen prägen.

Roadsterdach – schnell zu bedienen

Konstruktiv notwendig ist ein Faltverdeck, das Friedrich Geiger entwickelt. Es gilt wegen seiner einfachen Bedienbarkeit als das am schnellsten von Hand zu öffnende und zu schließende Verdeck seiner Zeit. Nach dem Öffnen wird es unter einer Abdeckung aus Blech verborgen. Anderthalb Jahre nach der Markteinführung des Roadsters ist auch das von Beginn an geplante Hardtop lieferbar.

Rennversionen: SLS

Für die Saison 1957 entstehen auf der Basis des offenen Sportwagens zwei 300 SLS genannte Fahrzeuge für den Einsatz in der nordamerikanischen Sportwagenmeisterschaft. Die Sonderanfertigungen sind jeweils 337 Kilogramm leichter als die Serienversion und haben einen leistungsgesteigerten Motor mit 173 kW (235 PS). Paul O’Shea, der bereits 1955 und 1956 mit dem „Gullwing“ die Meisterschaft in der Kategorie D gewinnen konnte, holt den Titel mit dem 300 SLS zum dritten Mal in Folge. In den frühen 1960er-Jahren starten Eberhard Mahle und Gunther Philipp mit 300 SL Roadster in Sportwagenrennen.

Mercedes-Benz 300 SLS (W 198) (Bild: Daimler AG)

Supersportwagen

Sportliche Leistung stellt auch die Serienversion unter Beweis, die in verschiedenen Getriebeabstimmungen erhältlich ist. Im November 1958 erreicht ein 300 SL Roadster mit der längsten lieferbaren Übersetzung von i=3,25 bei Fahrversuchen mit Rennscheibe und abgedecktem Beifahrersitz auf der Autobahn München–Ingolstadt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 242,5 km/h.

Klassische Werte

Heute zählt der 300 SL Roadster zu den begehrtesten und wertvollsten Fahrzeugen von Mercedes-Benz. Top erhaltene und vor allem originale Fahrzeuge erreichen Marktpreise deutlich jenseits einer Million Euro. Diese Marktsituation spiegelt die Beliebtheit und zugleich Seltenheit des 300 SL Roadster wider.

Mercedes-Benz Typ 300 SL Roadster (Bild: Daimler AG)

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