TELEAID im Jahr 1997: schnelle Hilfe am Unfallort
Die Idee ist eigentlich ein echter Fortschritt: bei einem Unfall braucht man nur einen Knopf zu drücken und Hilfe wird geholt, die Einsatzkräfte wo sie hin müssen. Insbesondere, wenn man selbst hilflos im Fahrzeug ist, eine tolle Sache. Und dennoch dauert es relativ lange, bis sich das System durchsetzt – und das liegt daran, dass die Digitalisierung „damals“ (gefühlt ist das ja noch nicht sooo lange her…) noch in den Kinderschuhen steckte….
Damals betritt Mercedes-Benz mit einer Technologie Neuland: Im Januar 1997 stellt die Marke die Serienausführung des automatischen Notrufsystems TELEAID vor. Die Bezeichnung (nach der Markteinführung zunächst getrennt geschrieben als TELE AID) steht für „Telematic Alarm Identification on Demand“.
Erhältlich ist TELEAID ab Herbst 1997 zunächst in der S-Klasse und den CL-Coupés der Baureihe 140, bevor auch andere Modelle damit ausgestattet werden.
Grundvoraussetzung für ein solches Sysem war natürlich, dass die GPS-Satellitenortung (Global Positioning System) zunehmend in zivilen Anwendungen genutzt werden kann – Mercedes-Benz stellt 1995 in der S-Klasse das Navigationssystem Auto-Pilot-System APS vor. Auch digitale Mobiltelefone finden vermehrt Verbreitung. Crashsensoren nutzt Mercedes-Benz schon geraume Zeit, etwa zum Auslösen von Airbags und Gurtstraffern. Das alles in Kombination plus entsprechende Steuergeräte mit Software bringen den Durchbruch: Detektieren die Crashsensoren einen Unfall, kann TELEAID automatisch über das Funktelefon unter anderem die Fahrzeugposition, die Fahrtrichtung sowie die Anzahl der Fahrzeuginsassen an eine Notrufzentrale übermitteln und versucht außerdem eine Sprechverbindung aufzubauen. So kann die Notrufzentrale direkt die Lage vor Ort prüfen – oder, wenn sich der Fahrer nicht meldet, Hilfe organisieren. Ein weiterer Meilenstein der Sicherheitsentwicklung ist geschafft. Per Knopfdruck auf die „SOS“-Taste in der Bedieneinheit im Dach lässt sich der Notruf auch jederzeit manuell auslösen.
Eine wichtige Voraussetzung war auch das Einrichten von Notrufzentralen, die sogenannten ‚Backends. Zusammen mit Bosch haben wurde das in Deutschland geschafft. In den USA konnte man auf bereits vorhandene Notrufzentralen zurückgreifen. Auch Japan konnte erschlossen werden. Der nächste Schritt war dann aber nicht trivial: Das Ausweiten des Konzepts auf andere europäische Länder. Ab Frühjahr 2004 steht TELEAID in neun Ländern Europas zur Verfügung.
Dennoch hat es das System nicht einfach, sich im Markt durchzusetzen. TELEAID stößt in Europa wegen einer „Henne-Ei-Problematik“ immer wieder an wirtschaftliche Grenzen. Das System muss als Sonderausstattung inklusive teuren, fest ins Fahrzeug eingebauten Funktelefons erworben werden, für das zudem ein Mobiltelefonvertrag erforderlich ist – eine für den Handel sehr komplexe Vermarktung und auch aufwendig bei einem Fahrzeugwechsel. So bleiben die Kundenzahlen hinter den Plandaten zurück und die Finanzierung der Notrufzentralen schwierig. 2005 stellt Mercedes-Benz das Notrufsystem in Europa für einige Jahre ein. Anders in den USA, dort läuft es seit dem Start ununterbrochen bis heute durch. Denn dort sind Festtelefone im Auto viel verbreiteter.
Ein grundlegend neues System ab 2012
Ab den 2010er-Jahren haben sich weltweit die Voraussetzungen geändert, und auch die technischen Komponenten sind preisgünstiger geworden: Nach und nach erhält jedes Auto ein fest eingebautes Funkmodul und macht es somit unabhängig vom Mobiltelefon des Kunden.
Die grenzüberschreitende Funktion ist erheblich vereinfacht. Denn in der Notrufhardware im Auto ist jetzt die Information über die Landessprache des Fahrers hinterlegt und Bestandteil des Notruftelegramms. Ist er im Ausland unterwegs, wird er aus der Notrufzentrale seines Heimatlands in seiner Muttersprache angesprochen. Ist Hilfe vor Ort erforderlich, informiert ein zweiter Agent die Notrufzentrale im Aufenthaltsland in der entsprechenden Sprache, damit schnell Unterstützung an den Unfallort geleitet werden kann.
Die Bedeutung des automatischen Notrufs wird so hoch eingeschätzt, dass die Europäische Union ein eCall-System für alle ab April 2018 neu in der Union typzugelassenen Fahrzeuge zur Pflicht gemacht hat. Dieses nutzt derzeit einzig den Sprachkanal, was bei schlechter Verbindung dem TELEAID-System unterlegen ist. Denn TELEAID nutzt parallel den SMS-Kanal, denn in Gegenden mit schlechtem Empfang geht eine SMS eher durch, als ein Sprachanruf.
Ein in der EU ausgelieferter Mercedes-Benz daher heute zwei Systeme: Der Notruf wird zunächst über die eigene Technik sowohl als SMS wie auch über den Sprachkanal ausgelöst. Das ebenfalls vorhandene EU-eCall-System fungiert als Rückfallebene.