Mercedes-Benz T 80 Rekordwagen – eine unvollendete Geschichte
Der Mercedes-Benz T 80 Rekordwagen entsteht aus einer Idee des Rennfahrers Hans Stuck: Er will den absoluten Geschwindigkeitsrekord für Landfahrzeuge brechen. Den dafür notwendigen Rekordwagen setzt Stuck mit drei maßgeblichen Persönlichkeiten um: Wilhelm Kissel, dem Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG, dem Ingenieur Ferdinand Porsche und dem Luftwaffengeneral Ernst Udet. Dabei ist weder Stuck als Rennfahrer der Auto Union noch Ferdinand Porsche als ehemaliger Daimler-Ingenieur unumstritten. Stuck sucht für sich eine Möglichkeit, sich neben seinem damals von der Propaganda in den Himmel gejubelten Bernd Rosemeyer Markenkollegen zu profilieren und nimmt dafür die Kontakte zu Mercedes-Benz wieder auf, für die er in den Vorjahren schon gefahren war. Zwischen Mercedes-Benz und dem Konstruktionsbüro Porsche bestehen auch nach dem Ausscheiden Porsches bei Daimler Kontakte – nicht zuletzt wegen der Produktion von 30 Prototypen des „KdF-Wagens“ (später VW Käfer) durch Mercedes-Benz.
Jeder einzelne der Beteiligten trägt dazu bei, das Projekt zu realisieren. Die Geschichte des Mercedes-Benz T 80 ist ein Marathon der Konstrukteure und Aerodynamiker. Das Vorhaben beginnt 1936. Es führt über zahlreiche Entwicklungsstufen und Fahrzeugverfeinerungen zum Ende im Jahr 1940 – ohne dass der T 80 je eingesetzt wird.
Ziel aller Beteiligten ist eine Geschwindigkeit, die zuvor kein Landfahrzeug erreicht hat. Das ist umso herausfordernder, als in diesen Jahren britische Fahrer immer neue Rekorde auf nordamerikanischen Strecken aufstellen: 1935 484,62 km/h, 1937 502,11 km/hm 1939 595,04 km/h über den fliegenden Kilometer. Dementsprechend verschiebt sich die geplante Rekordgeschwindigkeit von 550 km/h zunächst auf 600 km/h und schließlich sogar auf bis zu 650 km/h.
Ein neuer Rekord für die Silberpfeile?
Mercedes-Benz würde mit einem Erfolg des Projekts seiner langen Reihe von Geschwindigkeitsrekorden einen weiteren Triumph hinzufügen. Bisheriger Höhepunkt ist der Geschwindigkeitsweltrekord auf öffentlichen Straßen, den Rudolf Caracciola am 28. Januar 1938 aufstellt: Mit dem Mercedes-Benz Rekordwagen W 125 erreicht er 432,7 km/h auf der Autobahn bei Darmstadt.
Telegramm nach Stuttgart
Stuck, der Kontakte zur Führung der nationalsozialistischen Regierung pflegt, weiß sich der politischen Unterstützung für das Prestigeprojekt sicher. Allerdings braucht er auch Partner für die technische Umsetzung. Am 14. August 1936 schickt er ein Telegramm an den Daimler-Benz Vorstandsvorsitzenden Wilhelm Kissel und bittet um ein Treffen. Im Gespräch mit Kissel schlägt der Rennfahrer vor, dass Mercedes-Benz den Bau eines Rekordwagens übernimmt, der von einem Daimler-Benz Flugmotor angetrieben wird. Mit Flugzeugtriebwerken sind auch die britischen Rekordwagen dieser Zeit ausgerüstet.
Die Konstruktion des Rekordwagens soll Ferdinand Porsche übernehmen, der zu dieser Zeit auch die Auto Union Rennwagen entwickelt hat.
Am 11. März 1937 schließt die Dr. Ing. h.c. F. Porsche GmbH einen Vertrag mit der Daimler-Benz AG über die umfangreiche Mitarbeit auf allen Gebieten des Motoren- und Fahrzeugbaus. Zu den resultierenden Projekten gehören neben dem T 80 (das T steht in der Porsche-Nomenklatur für Typ) auch die Typen T 90, T 93, T 94, T 95, T 97, T 104 und T 108. Außer am Rekordwagen arbeitet Porsche also auch an Rennwagen, Nutzfahrzeugen und im Motorenbau mit.
Mit dem Flugmotor zum Weltrekord
Angetrieben werden soll der T 80 von einem Daimler-Benz Flugmotor. Auf ein solches Aggregat hat der Hersteller aber nicht automatisch Zugriff, denn die alleinige Verfügungsgewalt über sämtliche in Deutschland gebauten Flugmotoren liegt beim Reichsluftfahrtministerium. Daher nutzt Stuck seine Verbindungen zu Ernst Udet. Der Flieger ist mittlerweile zum Chef des Technischen Amtes der Luftwaffe aufgestiegen.
Im September 1936 nimmt Fritz Nallinger zum Projekt Stellung. Zu der Zeit ist er Technischer Direktor von Daimler-Benz und unter dem Entwicklungsvorstand Max Sailer für die Großmotoren zuständig. Nallinger prognostiziert beim Einsatz des zunächst vorgesehenen Flugmotors DB 601 eine auf jeden Fall erreichbare Leistung von 1.103 kW (1.500 PS). Tatsächlich werden in den Jahren 1938 und 1939 mit diesem für Flugrekorde vorbereiteten Triebwerk 2.036 kW (2.770 PS) erreicht.
Finanzierung des Projektes
Die Finanzierung ist zunächst wie folgt geplant: Daimler-Benz wird die Kosten für den Bau des Fahrgestells übernehmen. Die Karosserie soll der Flugzeughersteller Heinkel ausführen und bezahlen. Die Ausrichtung der Rekordfahrt selbst hingegen wird Rennfahrer Stuck finanzieren. Das legt Kissel bereits am 21. Oktober 1936 gegenüber Stuck fest. Im November 1936 schätzt Kissel, dass der T 80 nicht vor Oktober 1937 fertiggestellt werden kann.
Der T 80 wird Realität
Einen entscheidenden Schritt kommt das Projekt im Februar 1937 weiter, als Ernst Udet die offizielle Freigabe für den Einbau des DB 601 Flugmotors in den Rekordwagen erteilt. Wegen des höheren Leistungsbedarfs, der sich im Lauf der Entwicklung abzeichnet, wird diese Freigabe dann später auf den DB 603 V3 erweitert.
Am 6. April stellt Porsche in Untertürkheim die Pläne für den T 80 vor. Ein Rekordwagen mit drei Achsen und mittig hängend angeordnetem Flugmotor als Antrieb. Porsche hat berechnet, dass für eine Rekordgeschwindigkeit von 550 km/h nach fünf Kilometern Strecke eine Motorleistung von mindestens 1.618 kW (2.200 PS) nötig sind, besser aber wären 1.838 kW (2.500 PS).
Ursprünglich ist für die Rekordfahrten eine Strecke in den Vereinigten Staaten von Amerika vorgesehen. Mitte 1938 kristallisiert sich aber immer stärker der Plan heraus, für den Versuch einen speziell eingerichteten Autobahnabschnitt zwischen Dessau-Süd und Bitterfeld zu nutzen. Der Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen, Fritz Todt, nennt im August 1938 als vorgesehenen Termin für die Betriebsfreigabe dieser Strecke den Oktober 1938.
Abschließend wird die Frage der Rekordstrecke nie geklärt. Aber noch 1939 ist auch ein Rekordversuch in den Vereinigten Staaten im Gespräch. Dort sind sämtliche Rekorde der letzten Jahre auf den Bonneville Salt Flats erzielt worden. Ein Grund für die erneute Diskussion bei Mercedes-Benz dürften die schwierigen Fahrbedingungen auf dem von Hand betonierten Streifen zwischen den beiden Fahrbahnen der Autobahn sein.
Die Geburt des Weltrekordwagens
Der T 80 nimmt im Lauf des Jahres 1938 immer konkretere Gestalt an. Im Oktober besichtigt Ferdinand Porsche mit Mitarbeitern das hölzerne Modell der Rohkarosserie. Nun werden Blechsorten für die Beplankung der Karosserie definiert und entsprechende Stücklisten aufgestellt, Details von Sitz und Fahrerhaube festgelegt und der Rohrplan für den Gitterrohrrahmen formuliert. Am 26. Oktober 1938 hält die Mercedes-Benz Rennabteilung in einem Prüfbericht fest, dass der erste geschweißte Rahmen 224 Kilogramm wiegt.
Ende November 1938 ist das Fahrgestell samt Rahmen fertig. Die Komplettierung mit sämtlichen Aggregaten plant die verantwortliche Mercedes-Benz Rennabteilung bis Ende Januar 1939. Wenn bis dahin auch der Flugmotor geliefert werde, könne das Fahrgestell bis Ende Februar 1939 montiert werden, heißt es in einer Aktennotiz vom 26. November 1938. Die Karosserie soll dann bis zum Mai 1939 gebaut werden.
Halten die Räder die Rekordgeschwindigkeit aus?
Reifenhersteller Continental erprobt die für den T 80 vorgesehenen Räder auf dem Prüfstand und stellt im Januar 1939 bei einer Schnelllaufprüfung mit 500 km/h eine starke Deformation der Drahtspeichenräder fest, die Hering aus Ronneburg (Thüringen) beisteuert. Im Mai gibt es noch leichte Verformungen bei immerhin 480 km/h. Derweil hat Porsche errechnet, dass für eine Rekordfahrt mit 600 km/h eine Wegstrecke zwischen 13,73 Kilometer (mit 2.023 kW / 2.750 PS) bis 11,48 Kilometer (mit 2.206 kW / 3.000 PS) notwendig ist.
1939 reift der Entschluss, den T 80 mit einem Motor vom Typ DB 603 auszustatten. Dessen Weiterentwicklung als Flugmotor hat das Reichsluftfahrtministerium zwar im März 1937 verboten. Für den Geschwindigkeitsrekord könnte er aber eingesetzt werden, wenn das Ministerium zustimmt. Die Ingenieure gehen davon aus, dass der für eine Leistung von rund 1.471 kW (2.000 PS) ausgelegte 44,5-Liter-V12-Flugmotor bei dem Rekordversuch bis zu 2.206 kW (3.000 PS) bei 3.200/min erreichen kann. Dazu soll der Motor mit einer Mischung der beiden Spezial-Rennkraftstoffe XM und WW betankt werden. Ab Februar 1940 darf das Stuttgarter Unternehmen die Arbeiten am DB 603 als Flugmotor wieder aufnehmen. Der Serienanlauf für den Luftfahrteinsatz beginnt 1941.
Optimierung des DB 603 für den Rekord
Rennleiter Alfred Neubauer notiert 1939, dass ein DB 603 für den Rekordwagen im Juni des Jahres als „Einlaufmotor“ geliefert werden könne. Der eigentliche Rekordmotor stehe dann Ende August 1939 zur Verfügung. Fritz Nallinger, verantwortlich für die Daimler-Benz Flugmotoren, optimiert im Juni 1939 verschiedene Details für den Einbau des Rekordmotors im T 80. Unter anderem verändert er die Führung der Luftansaugleitungen und legt die Auspuffleitungen so aus, dass das Fahrzeug die Rückstoßenergie in Geschwindigkeit umsetzen kann.
Ebenfalls im Sommer 1939 finden Messungen mit einem maßstabsgetreuen Modell des T 80 im Windkanal von Zeppelin in Friedrichshafen statt. Dabei soll der optimale Abtrieb gefunden werden: stark genug, um die ganze Kraft des Motors auf die Straße zu bringen, aber zugleich so gering wie möglich, um die Reifen mit ihren dünnen Laufflächen nicht zu überlasten. Tatsächlich wird die Oberfläche der Abtriebsflossen nach den Messungen noch einmal um 3,65 Quadratmeter verringert.
Die Erprobungen des T 80 werden auch nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 fortgesetzt. So läuft das Fahrgestell des Rekordwagens am 12. Oktober auf dem Rollenprüfstand. Mittlerweile peilt Porsche wegen eines neuen Rekords mit fast 600 km/h eine Rekordgeschwindigkeit des T 80 von bis zu 650 km/h an. Dazu würde wohl eine Motorleistung von bis zu 2.574 kW (3.500 PS) nötig sein. Selbst diese Leistung erscheint mit dem DB 603 möglich.
Ende des Projekts T 80 im Frühjahr 1940
Weitere Schritte auf dem Weg zum Geschwindigkeitsweltrekord gibt es dann nicht mehr. Im Juni 1940 wird ein Abschlussbericht für das Projekt erstellt und der T 80 eingelagert. Der zwischenzeitlich im Fahrzeug eingebaute Rekordmotor DB 603 geht zurück in die Obhut des Reichsluftfahrtministeriums.
Nach dem Krieg stellt Mercedes-Benz den T 80 Rekordwagen im Museum des Unternehmens im Werk Untertürkheim aus. Bei der Neugestaltung der Ausstellung im Jahr 1986 werden Karosserie und Fahrgestell voneinander getrennt, das Fahrgestell wird eingelagert. Bis heute ist das Fahrzeug ohne Fahrgestell ausgestellt.
Die im Mercedes-Benz Museum ausgestellte Karosserie zeigt den Rekordwagen bewusst mit Spuren des im Jahr 1940 noch nicht ganz vollendeten Projekts. Mercedes-Benz Classic stellt diesem mächtigen Exponat nun das Fahrgestell zusammen mit dem rekonstruierten Gitterrohrrahmen und dem Schnittmotor gegenüber. Als einzigartiges Schaustück macht dieses Exponat die Technik des T 80 ab Mitte 2018 wieder eindrucksvoll erlebbar.
T 80 – technische Daten
Motor: | Daimler-Benz DB 603 Spezial-Rennmotor |
Arbeitsweise: | Viertakt-Ottomotor |
Zylinder: | V12 mit hängenden Zylindern |
Hubraum: | 44.500 Kubikzentimeter |
Gemischbildung: | Benzineinspritzung mit Bosch 12-Zylinder-Einspritzpumpe PZ 12 HP 120/22 für bis zu 1.500 Liter/Stunde Fördermenge |
Kühlung: | flüssigkeitsgekühlt |
Kraftstoffe: | Für den Rekordversuch soll der T 80 entweder je zur Hälfe mit den Spezial-Rennkraftstoffen XM und WW betankt werden oder nur mit WW-Kraftstoff. XM: 40 Prozent Methylalkohol + 32 Prozent Benzol + 24 Prozent Äthylalkohol + 4 Prozent Leichtbenzin WW: 86 Prozent Methylalkohol + 8,8 Prozent Aceton + 4,4 Prozent Nitrobenzol + 0,8 Prozent Äther |
Leistung: | 2.059 kW (2.800 PS) bei 2.500/min: Auf dem Prüfstand erreichte Leistung mit je 50 Prozent XM- und WW-Kraftstoffen 2.206 kW(3.000 PS) bei 3.200/min: errechnete Höchstleistung mit je 50 Prozent XM- und WW-Kraftstoffen 2.574 kW (3.500 PS) bei 3.460/min: errechnete Höchstleistung mit WW-Kraftstoff |
Höchstgeschwindigkeit: | 600 km/h (errechnet mit 2.206 kW / 3.000 PS) 650 km/h (errechnet mit 2.574 kW / 3.500 PS) |
Ventile: | je Zylinder 2 Einlass- und 2 Auslassventile, natriumgefüllt |
Ventilsteuerung: | oben liegende und über eine Königswelle angetriebene Nockenwelle, die durch je einen Nocken nacheinander Ein- und Auslassventil über Schwinghebel betätigt |
Kurbelwelle: | sechsfach gekröpfte, in einem Stück gearbeitete Kurbelwelle aus zäh vergütetem Stahl, im Gesenk geschmiedet |
Schmierung: | Trockensumpf-Druckumlaufschmierung mit einer Druckpumpe und zwei Rückförderpumpen |
Drehmomentangleich: | automatischer Drehmomentangleicher, registriert über Differenzialgetriebe und Fliehkraftregler eventuellen Schlupf der angetriebenen Hinterräder und reguliert das Motordrehmoment |
Antriebsformel: | 6×4 (drei Achsen mit insgesamt sechs Rädern, davon vier angetriebene Hinterräder) |
Bremsen: | fußbetätigte, hydraulische Innenbacken-Trommelbremsanlage mit Bremsausgleich und vier Bremsbacken je Rad; auf alle sechs Räder wirkend, 620 Millimeter Durchmesser |
Wenderadius: | 32 Meter (64 Meter Spurkreisdurchmesser) |
Radstände: | 3.550 Millimeter (Vorderachse zur ersten Hinterachse) und 1.280 Millimeter (zwischen den Hinterachsen) |
Spurweiten: | 1.300 Millimeter (vorn), 1.320 Millimeter (erste Hinterachse), 1.180 Millimeter (zweite Hinterachse) |
Maße: | 8.240 Millimeter größte Wagenlänge, 1.740 Millimeter größte Wagenbreite ohne Seitenflossen, 3.200 Millimeter größte Wagenbreite mit Seitenflossen, 1.270 Millimeter größte Wagenhöhe, 140 Millimeter Bodenfreiheit im Stand, 185 Millimeter errechnete Bodenfreiheit bei maximaler Geschwindigkeit von 650 km/h |
Gewichte: Gesamtfahrzeug: Karosserie: Gitterrohrrahmen: Beplankung: Motor: Räder: | 2.800 Kilogramm (trocken) 344 Kilogramm (mit Unterschutz und Druckflächen) 124,5 Kilogramm 132,5 Kilogramm 808 Kilogramm (mit Schwungrad) jeweils 50 Kilogramm (mit Reifen) |
Räder: | Speichenräder mit Rudge-Zentralverschluss, Dimension 7,00-32 Außendurchmesser 1.170 Millimeter (im Stand) bis 1.240 Millimeter (errechnet bei 650 km/h) |
Bereifung: | Continental-Spezialreifen, profillos |